Das Jüdische Museum in der ehemaligen Synagoge Niederzissen bietet Einblicke in das einst blühende jüdische Leben im Brohltal. Eine einzigartige Sammlung ritueller Gegenstände, Geschäftsbriefe und Fotos belegt die Bedeutung der Synagogengemeinde Niederzissen für das religiöse, wirtschaftliche und alltägliche Leben vor Ort. Diese sogenannten Genisa-Funde gehören zu den bedeutendsten Fundstücken der jüdischen Kultur in Deutschland.
Zugleich dienen Synagoge und Museum als Gedenk- und Begegnungsstätte, die an die bewegte Geschichte des Hauses und an das Schicksal der jüdischen Mitbürger während des Nationalsozialismus erinnern. Es ist dem bürgerschaftlichen Engagement der Niederzissener zu verdanken, dass die Synagoge erhalten blieb und der Öffentlichkeit als Ort der Erinnerung zugänglich gemacht werden konnte. In der Synagoge finden heute regelmäßig Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Führungen statt.
Museum und Synagoge sind von März bis Oktober geöffnet: In diesem Jahr nimmt die Ehemalige Synagoge am Tag des offenen Denkmals teil. Sie hat am 8. September, von 13 bis 18 Uhr für Interessierte geöffnet. Führungen finden um 14 Uhr und 16 Uhr statt. Ein letztes Mal in diesem Jahr öffnet das Museum am 6. Oktober von 14 bis 16 Uhr seine Türen. Der Eintritt ist frei. Darüber hinaus steht ein informativer virtueller Rundgang zur Verfügung., der sich thematisch an die Dauerausstellung vor Ort anlehnt.
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Virtueller Rundgang durch die Dauerausstellung
In Niederzissen gehörten Juden über Jahrhunderte hinweg zur Dorfgemeinschaft und spielten eine wichtige Rolle im Dorfleben. Erstmals beurkundet ist die Existenz einer jüdischen Gemeinde für das Jahr 1510. Über 400 Jahre später endete ihre Geschichte, nach jahrelanger Ausgrenzung und Verfolgung durch das NS-Regime, 1942 mit der Deportation der letzten jüdischen Mitbürger in Konzentrations- und Vernichtungslager. Niemand überlebte.
Die noch heute erhaltene Synagoge wurde zwischen 1838 und 1841 errichtet und befindet sich in der Mittelstraße, wo die Juden des Ortes einige Wohn- und Geschäftshäuser besaßen. Fast 100 Jahre lang diente sie als Bethaus für die jüdischen Einwohner Niederzissens sowie der umliegenden Ortschaften, bis sie schließlich in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10 November 1938 entweiht wurde. Ein SA-Kommando schlug die Tür des Gebäudes mit Äxten ein, zertrümmerte das Inventar und warf Torarollen und Gebetbücher auf die Straße. Wegen der dichten Bebauung rund um die Synagoge wurde das Gebäude jedoch anders als die meisten jüdischen Bethäuser nicht niedergebrannt und blieb, als eine von zwei Synagogen im Kreis Ahrweiler, erhalten. Im Jahr darauf wurde die jüdische Gemeinde gezwungen, ihre Synagoge zu verkaufen. Das Gebäude wurde umfunktioniert.
2009 erwarb die Gemeinde die ehemalige Synagoge und öffnete sie im Jahr 2012 als Erinnerungs- und Begegnungsstätte für die Öffentlichkeit. Während der Restaurierungsarbeiten wurde die Mikwe, ein rituelles Tauchbad, wiederentdeckt, ebenso der Brunnen, der diese mit Wasser speiste. Auf dem Dachboden der Synagoge fand man einen besonderen Schatz: einen der größten Funde von Gegenständen zur jüdischen Kultur in Deutschland, die sogenannte Genisa, darunter mehrere hundert Jahre alte Textilien, wertvolle Handschriften und Gebetbücher. Eine Auswahl der wertvollsten Stücke des Dachbodenfundes werden in einer Dauerausstellung präsentiert.
Die Synagoge wurde dank des Kultur- und Heimatvereins Niederzissen e. V., dessen Mitglieder weit über 1.000 ehrenamtliche Arbeitsstunden in die Sanierung steckten, unter Bewahrung der Erinnerung mit neuem Leben gefüllt. Die Arbeiten wurden vom Land Rheinland-Pfalz, von der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur, der Gemeinde Niederzissen sowie der Deutschen Stiftung Denkmalschutz finanziell unterstützt.
Das Jüdische Museum informiert in seiner ständigen Ausstellung über die Geschichte der Synagoge und das jüdische Leben damals und heute. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Genisa-Funde, eine umfangreiche Sammlung von Schriftstücken und Alltagsgegenständen, die auf dem Dachboden der Synagoge entdeckt wurden. Zu den Fundstücken gehören Toramäntel (Me’ilim), Gebetsriemen (Tefillin), Gebetbücher für wochentags (Siddurim) und feiertags (Machsorim), Pessacherzählungen (Haggadot) und ein Widderhorn (Schofar), aber auch Geschäftsbücher, Familienkorrespondenzen und Verträge.
Digitales Schaudepot: 20 ausgewählte Genisa-Funde entdecken
Genisa-Funde: Briefe, Dokumente, Texte & Zeitungsberichte
Die Dauerausstellung über das jüdische Leben im Brohltal gliedert sich in fünf Themeneinheiten: „Alltag“, „Werktag“, „Festtag/Gedenktag“, „Anderntags“ und „Heutzutage“. Die ausgestellten Objekte spiegeln die jüdische Kultur wider, die bis heute von besonderen Bräuchen und Festen geprägt ist.
„Alltag“ zeigt historische und moderne Objekte, die das tägliche Leben, den Glauben und die Traditionen der Juden in Niederzissen beleuchten. Der Bereich „Werktag“ widmet sich den Berufen und Tätigkeiten der jüdischen Bevölkerung im Brohltal. Unter „Festtag/Gedenktag“ wird das jüdische Jahr mit seinen Festen und Gedenktagen anhand eines jüdischen Kalenders und der Tora veranschaulicht.
Virtueller Rundgang: „Alltag“, „Werktag“, „Festtag/Gedenktag“
„Anderntags“ thematisiert die Zeit des Nationalsozialismus, von Hitlers Machtübernahme 1933 bis hin zur Verfolgung und Vernichtung der Juden aus dem Brohltal. Die Ausstellung erinnert auch an Einzelschicksale. Ein Memorbuch enthält die Namen aller Jüdinnen und Juden aus dem Brohltal, die im NS-Regime umgebracht wurden.
Virtueller Rundgang: „Anderntags“
Und heute? Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten sich jüdische Gemeinden nur mehr in Städten, die allermeisten landjüdischen Gemeinden waren ausgelöscht. In nächster Nähe zur ehemaligen Synagogengemeinde Niederzissen gibt es heute drei jüdische Gemeinden – jeweils eine in Koblenz, in Bonn und in Köln. Der Ausstellungsbereich „Heutzutage“ schildert den Wiederaufbau jüdischen Lebens in Deutschland nach 1945, mit Fokus auf diese Gemeinden. Sie bieten mit Synagogen, Religionsunterricht, Seniorentreffs, Gemeindezeitungen, Sportvereinen u. v. m. heute wieder eine umfassende jüdische Infrastruktur.
Virtueller Rundgang: „Heutzutage“
Die ehemalige Synagoge mit angeschlossenem Museum bietet als außerschulischer Lernort die Möglichkeit, jüdisches Leben von seinen Anfängen bis heute kennenzulernen. Das Angebot richtet sich an alle Altersgruppen und Schulformen. Es umfasst Führungen und Workshops in der Synagoge sowie einen ausführlichen virtuellen Rundgang mit vertiefenden Informationen und einem digitalen Schaudepot. Ergänzend stehen in einem Downloadbereich kostenlos Materialien zum Thema „Judentum“ zur Verfügung.
Ein besonderes Highlight ist der Lernkoffer „Judentum im Taschenformat“, der demnächst zur Ausleihe bereitstehen wird. Der Koffer enthält zahlreiche Objekte zum Anfassen und passende Begleittexte im Postkartenformat. Sally aus Niederzissen führt durch die Themen „Tora“, „Jüdische Lebensfeste und Alltag“, „Jüdische Feier- und Gedenktage“ und „Rituelle Reinheit“.
Vermitteln und Erklären: museumspädagogische Angebote
Die Auszeichnung „Museum des Monats“ ist mit 1.000 Euro dotiert und wird seit August 2022 vom Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration Rheinland-Pfalz ausgelobt. Sie hat zum Ziel, die Museumsarbeit vor allem kleiner und mittelgroßer Museen landesweit in den Fokus rücken. Ausgezeichnet werden Museen, die sich mit gelungenen Ausstellungsprojekten zur Orts-, Regional- oder Landesgeschichte, mit innovativen Vermittlungsideen, interessanten digitalen Angeboten, erfolgreichen Partizipationsprojekten, gelungenen Maßnahmen zur Umsetzung der Barrierefreiheit, außergewöhnlichem gesellschaftlichem Engagement, beispielhaften Projekten zum Sammlungserhalt oder zur Sammlungserschließung oder bemerkenswerten Projekten generationenübergreifenden bürgerschaftlichen Engagements hervortun. Unterstützt wird das Kulturministerium bei der Auswahl der Auszeichnungen vom Museumsverband Rheinland-Pfalz. Alle ausgezeichneten Museen im Überblick gibt es auf der Webseite des Museumsverbands Rheinland-Pfalz:
Museumsverband Rheinland-Pfalz | Museum des Monats