Dauerausstellung
Von der Angewandten zur Freien Kunst
Keramikmuseum Westerwald

Dauerausstellung mit Keramikobjekten
© Keramikmuseum Westerwald
Die in dieser Ausstellung präsentierte künstlerische Keramik zeigt den Übergang von der Angewandten zur Freien Kunst im 20. Jahrhundert.

Jugendstilkünstler setzten Maßstäbe für das Kunsthandwerk des 20. Jahrhunderts. Sie suchten nach der Verbindung aller Künste. Diese Entwicklung von der Angewandten zur freien Kunst verläuft kontinuierlich und ohne große Stilbrüche, denn im Gegensatz zu den Freien Künsten wird das Kunsthandwerk von den Nationalsozialisten nicht als „entartet“ entwertet, sondern gerade wegen seiner vermeintlichen Volkstümlichkeit gefördert. In nationalen und internationalen Wettbewerben bekommen Keramiker wie August Hanke (1875-1938) oder Elfriede Balzar-Kopp (1904-1983) Anerkennung für ihr traditionelles handwerkliches Können. Während des Krieges können die Öfen, die nachts wegen ihres Flammenspiels ein Angriffsziel bilden, nicht betrieben werden. Die meisten Arbeiter sind an der Front und die keramische Produktion kommt zum Erliegen. Einige wenige Firmen führen noch kriegsbedingte Produktionen aus.

In der Nachkriegszeit sichern sich die Werkstätten ihre Existenz durch Geschirrproduktion und knüpfen wieder an Formen und Dekore der 1930er Jahre an. Als sich die wirtschaftliche Lage verbessert, suchen Keramiker zunehmend nach experimentellen und individuellen Ausdrucksformen. Das keramische Gefäß löst sich aus seiner traditionellen Funktion und entwickelt sich zum autonomen Kunstobjekt. Die Form wird nach bildhauerischen Maßstäben bewertet und die Glasur als malerisches Gestaltungsmittel gesehen. Das Interesse an ostasiatischen Steinzeugglasuren, das zuerst von den französischen ceramistes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekundet und im Jugendstil kultiviert wurde, bleibt groß. Außerdem hatte der Silikatchemiker Hermann Seger (1839-1893) mit seinen systematischen Forschungen wichtige technische Grundlagen für Glasurentwicklung gelegt. Die moderne Gefäßkeramik besitzt infolgedessen einen hohen Grad an technischer Perfektion. Oft stehen aufwendige Glasuren im Mittelpunkt, deren Rezepturen streng geheim gehalten werden.

Gleichzeitig entstehen – vor allem von der Drehscheibe aus – freie Formen. Gestaltungsstrategien aus den Bildenden Künsten oder der Musik, wie etwa Montage, Wiederholung, Rhythmus oder Destruktion, werden nun auch in der Keramik eingesetzt. Walter Popp (1913-1977), der in Kassel Keramik lehrt, zerlegt in seinen Gefäßmontagen die Symmetrieachse des gedrehten Zylinders und kombiniert Grundformen wie Kegel, Zylinder oder Kugel zu neuen Formen. In Beate Kuhns (1927-2015) Plastiken reihen sich auf der Drehscheibe konzipierte Formen rhythmisch aneinander und werden von der Künstlerin zu neuen, dynamischen Organismen zusammengesetzt. Die Professorin für Keramik in Halle an der Saale, Gertraud Möhwald (1929-2002), lässt Scherben und andere Fundstücke zu monumentalen Büsten werden, die einen Bogen zur archaischen Keramik schlagen und so das kulturelle Vermächtnis des keramischen Materials betonen.

Vielfach wird die künstlerische Keramik von der Öffentlichkeit dem Kunsthandwerk zugerechnet. Keramiker, Keramiksammler und Galeristen bilden eine eigene Parallelwelt und Einzelausstellungen sind rar. Doch seit Ende des 20. Jahrhunderts ist eine wachsende Aufmerksamkeit spürbar. Die seitens der Bildenden Künste vollzogene Entgrenzung der Gattungen, wie auch eine Sehnsucht nach Sinnlichkeit und Materialität im digitalen Zeitalter, sind als Gründe für ein erneutes Interesse an der Keramik anzusehen.